fëllig: Ein Schuh für jedes Kind

Eine Material- und Prozessstudie zur additiven Fertigung von Kinderschuhen.

Wie kann ein Kinderschuh ressourcenschonend, lokal und anpassbar produziert werden? fëllig erforscht die Verbindung von natürlichen Materialien, digitaler Fertigung und Zirkularität. In diesem Projekt verschmelzen biologische Wachstumsprozesse mit parametrischer Formgebung zu einem modularen System, das auf die Bedürfnisse wachsender Kinderfüße eingeht und dabei Materialverschwendung radikal reduziert.

Institution
Folkwang Universität der Künste
Studienfeld
Nachhaltigkeit im Footwear Design
Zeitraum
Winter 2020
Abgabe
Frühjahr 2021

Problem und Kontext

Jährlich werden weltweit etwa 24 Milliarden Paar Schuhe für 8 Milliarden Menschen produziert. Bei Kinderschuhen verschärft sich die Problematik: Durchschnittlich trägt ein Kind einen Schuh nur 3 bis 6 Monate, bevor der Fuß herausgewachsen ist. Diese kurzen Nutzungszyklen führen zu enormen Mengen an Abfall, verstärkt durch die Multimaterialität konventioneller Schuhe. Leder, Textilien, Schäume und Kunststoffe werden miteinander verklebt und vernäht. Ein Verbund, der Recycling nahezu unmöglich macht.

Hinzu kommt die Abhängigkeit von globalen Lieferketten und energieintensiven Fertigungsprozessen. Die Herstellung eines einzelnen Schuhs durchläuft oft mehr als hundert Arbeitsschritte, viele davon in Handarbeit. Das macht Kinderschuhe teuer, ressourcenintensiv und ökologisch fragwürdig. fëllig stellt die Frage: Was wäre, wenn wir Kinderschuhe lokal fertigen könnten, mit Materialien, die am Ende ihres Lebenszyklus wieder in biologische Kreisläufe zurückgeführt oder rezykliert werden können? Was, wenn der Schuh mitwächst, anstatt ersetzt zu werden?

Lebenszyklus eines herkömmlichen Schus vs. fëllig

Forschung und Materialstudien

Am Anfang stand die Materialfrage. Ich untersuchte drei unterschiedliche Ansätze, die jeweils das Potenzial hatten, die Schuhproduktion grundlegend zu verändern: 3D-Druck, Myzel und Filz.

01
3D-Druck
Bietet absolute Formfreiheit und ermöglicht lokale, on-demand Fertigung. Thermoplastische Elastomere wie TPU bringen die nötige Flexibilität und Haltbarkeit mit. Eigenschaften, die für Kinderschuhe unverzichtbar sind.
02
Pilz-Myzel
Das unterirdische Wurzelgeflecht von Pilzen wächst auf organischen Substraten und bildet lederähnliche Strukturen. Biologisch abbaubar, energiearm, formbar. Die Herausforderung: Wasserbeständigkeit und Belastbarkeit.
03
Filz
Überzeugt durch natürliche Elastizität, Atmungsaktivität und Wärmeregulierung. Der Filzprozess ist einfach: Wollfasern verhaken sich durch Wärme, Feuchtigkeit und Bewegung. Biologisch abbaubar und in Europa verfügbar.

Die Erkenntnis war, dass keines der Materialien allein alle Anforderungen erfüllt. Aber ihre Kombination eröffnet neue Möglichkeiten. Der Hybridansatz, eine additive Struktur als Außenhülle, gefüllt mit natürlichem Material, vereint die Präzision digitaler Fertigung mit den Eigenschaften biologischer Materialien.

Die drei Materialien gegeneinander gestellt

Konzeptentwicklung

Aus der Materialforschung entwickelte sich ein zweiteiliges System. Der Außenschuh besteht aus einer 3D-gedruckten TPU-Struktur, die dem Fuß Halt gibt und die Form definiert. Der Innenschuh wird durch Schurwolle gebildet, die während des Filzprozesses die Hohlräume der Gitterstruktur durchdringt und eine weiche, anpassungsfähige Polsterung schafft.

Diese Modularität ermöglicht Flexibilität im Gebrauch: Wächst der Kinderfuß, kann die äußere Struktur neu gedruckt werden, das alte Gerüst wird dem Kreislauf wieder zugefügt, die innere Wollschicht kompostiert. Beide Komponenten bleiben sortenrein trennbar. Ein entscheidender Faktor für echte Kreislauffähigkeit.

Erste Materialversuche

In der CAD-Entwicklung entstanden mehrere Iterationen. Die Gitterstruktur folgt den natürlichen Flexzonen des Fußes, was Material spart und die strukturelle Integrität erhöht. Die Kinderergonomie stand im Mittelpunkt: breite Zehenbox, flexible Sohle, leichtes Gewicht. Parallel dazu testete ich verschiedene Wollqualitäten und Filztechniken, um die optimale Balance zwischen Weichheit und Stabilität zu finden. Außerdem führte ich verschiedene Tests zur Wasserdichtigkeit mit natürlichen Imprägnierungen durch. Es stellte sich heraus, dass Lanolin (Wollwachs), das meist zur Imprägnierung von Wollwindeln genutzt wird, Wasser am besten abhält.

Erste Materialversuche

Prozess und Fertigung

Der Herstellungsprozess von fëllig verbindet automatisierte Schritte und die Fertigung mit haushaltsüblichen Maschinen zu einem hybriden Workflow. Zunächst wird die Schuhform digital generiert, basierend auf den individuellen Fußmaßen des Kindes. Diese Daten steuern den 3D-Drucker, der die TPU-Struktur Schicht für Schicht in einem Fab-Lab oder zu Hause aufbaut.

Nach dem Druckvorgang wird die Gitterstruktur mit Schurwolle befüllt. Die Wolle liegt zunächst lose an den Wänden der Gitterstruktur. Dann beginnt der Filzprozess: Der Schuh wird mir einem Socken gefüllt. Kleine Waschkugeln festigen die Form des Sockens und sorgen beim Verfilzen dafür, dass die Schurwolle an den Rand der Struktur gedrückt wird. Der gefüllte Schuh wird in einer herkömmlichen Waschmaschine bei 40° gewaschen. Die Schurwolle verfilzt und bildet einen komfortablen und isolierten Innenschuh.

Nach dem Filzen wird der Schuh getrocknet. Optional kann die Oberfläche mit Naturwachs behandelt werden, um den Wetterschutz zu erhöhen. Der gesamte Prozess benötigt keine Klebstoffe, keine Nähte, keine komplexen Maschinen, nur einen 3D-Drucker, eine Waschmaschine und Zeit.

Finaler Prozess für fëllig

Finaler Prozess für fëllig

Finaler Prozess für fëllig

Ergebnis

Das Ergebnis ist ein Schuh, dessen Gestaltung der Funktion folgt. Die Gitterstruktur erfüllt die Anforderungen an Flexibilität und Schutz für Kinderschuhe, die Wollfilzung bietet einen bequemen Innenschuh und schimmert in natürlichen Grau- und Beigetönen durch die Öffnungen. Es entsteht eine Materialehrlichkeit, die sowohl technisch als auch haptisch überzeugt. Der Schuh fühlt sich weich an, passt sich dem Fuß an und bietet gleichzeitig die nötige Stabilität für erste Schritte und wildes Toben.

Die ergonomische Form berücksichtigt die anatomischen Besonderheiten wachsender Kinderfüße: eine breite, uneingeschränkte Zehenbox, eine flexible Sohle, die natürliche Abrollbewegungen unterstützt, und ein niedriges Gewicht, das Bewegungsfreiheit fördert. Die mterialechte Farbe des TPUs und der ungefärbten Wolle vereint Technik mit Natürlichkeit.

Material und Designkonzept

Designkonzept

Designdetail herausnehmbarer Innenschuh

Designdetail Funktionsgitter

Reflexion und Ausblick

fëllig begann als Frage und endete als Lernerfahrung. Die größte Erkenntnis: Nachhaltigkeit ist kein Etikett, sondern das Ergebnis von Prozessverständnis. Materialien zu kennen bedeutet, ihre Herkunft, ihre Eigenschaften und ihr Lebensende mitzudenken. Technologie kann Nachhaltigkeit nur unterstützen, wenn sie mit Respekt vor natürlichen Systemen eingesetzt wird.

Die nächsten Schritte könnten radikaler sein. Modulare Größensysteme, die mit dem Kind wachsen und nur einzelne Komponenten ersetzen. Skalierbarkeit durch dezentrale Produktionsnetzwerke, die regionale Materialien nutzen. fëllig ist kein fertiges Produkt, es ist ein Prototyp für ein Denken, das Design als Verantwortung begreift.

Erster Prototyp

Erster Prototyp Gitterdetail

Erster Prototyp Sohlendetail

Erster Prototyp Hackendetail