Myco.Run: Alternative Materialien und Prozesse in der Schuhproduktion

Ein regenerativer Ansatz für das Design von Laufschuhen unter Verwendung von Verbundwerkstoffen auf Myzelbasis und additiver Fertigung.

Kann ein Laufschuh selbst wachsen?

institution
Folkwang Universität
Studienfeld
Nachhaltigkeit im Footwear Design
Zeitraum
Winter 2021
Abgabe
Frühling 2022

Recherche und Problemdefinition

Ein Standard-Laufschuh besteht aus über 12 verschiedenen Materialien: EVA-Schaumstoff, TPU-Überzügen, synthetischem Mesh, Gummi-Außensohlen und Industrieklebstoffen. Diese komplexe Materialmischung bringt erhebliche Herausforderungen mit sich: Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen, Produktionsabfälle und nahezu unmögliches Recycling am Ende der Lebensdauer.

Bestandteile eines Schuhs

Herkömmliche Laufschuhe

  • Gummi 110 g
  • Synthetische Textilien 56 g
  • Synthetisches Filz 41 g
  • Kunststoff 12 g
  • Performance Textilien 8 g
  • Mesh 5.6 g
  • Schäume 5 g
  • Sonstiges 4.4 g

Gesamt: 242 g

Myco.Run

  • Myzel 80 g
  • Bambus 30 g
  • Hanffilz 5 g

Gesamt: 115 g

Die Schuhindustrie hat damit begonnen, sich grundlegend mit nachhaltigen Materialien wie recycletem Polyester oder bio-basierten Schäumen auseinander zu setzen, Studien und Konzepte zur Fertigung werden dabei aber vernachlässigt, oder stützen sich auf rezyklierbare Kunststoffe, die dennoch aus Rohöl hergestellt werden. Myco.Run schließt diese Lücke, indem es ein regeneratives, monomaterielles System vorschlägt, das auf biologischem Wachstum statt auf industrieller Fertigung basiert.

Wir schreiben das Jahr 2035, nach der Pandemie, postindustriell, mit lokalisierten Lieferketten und Kreislaufwirtschaft, sieht Myco.Run Schuhe nicht als Fertigprodukt, das weltweit versandt wird, sondern als lebendes Material, das lokal vom Nutzer angebaut wird.

„Myco.Run stellt den konventionellen, linearen Lebenszyklus von Laufschuhen in Frage, indem es den Nutzer zum Teil des regenerativen Prozesses macht.“

Materialvergleich regulärer multimaterieller Laufschuhe im Vergleich zum monomateriellen Myco.Run

Materialforschung

Myzel verstehen

Myzel, die Wurzelstruktur von Pilzen, bildet dichte, faserige Netzwerke, die Leder, Schaumstoff und Verbundwerkstoffe ersetzen können. Unternehmen wie Ecovative und MycoWorks haben die Eignung von Myzel für Verpackungen und Mode bewiesen, aber seine Anwendung in Performance Schuhen ist noch weitgehend unerforscht.

Ich habe Materialexperimente durchgeführt, um das Wachstumsverhalten, die strukturellen Eigenschaften und das Integrationspotenzial von Myzel in der additiven Fertigung zu verstehen. Zu den wichtigsten Herausforderungen gehörten die Kontaminationskontrolle, eine gleichmäßige Dichte zu erreichen und das gerichtete Wachstums herzustellen.

Wichtigste Erkenntnis: Durch die geplante Beimpfung bestimmter Bereiche innerhalb einer parametrischen Gitterform kann die Myzeldichte kontrolliert werden, wodurch eine weichere Dämpfung im Fersenbereich und eine festere Stütze im Mittelfußbereich erzielt werden kann und bestimmte Bereiche mit mehr oder weniger Flexzonen versehen werden können.

Mikroskopansicht einer Myzelstruktur mit ihren Hyphen

Erste "Air"-Myzel Wachstumstests

Myzel wuchs durch den Kunststoffcontainer und fixierte diesen

Shore Dichtemessung von reinem Myzel im Vergleich zu herkömmlichen Laufschuhen

Through iterative testing, I developed a growth protocol where:

  • Mycelium substrate fills an additively manufactured lattice mold
  • Grid spacing determines material density (wide = dense cushioning, narrow = flexible zones)
  • Growth occurs over 7–10 days at controlled temperature and humidity
  • The material naturally bonds to textile and bamboo components without adhesives

Konzeptentwicklung

Von der Forschung zur Form

In frühen Designiterationen wurden drei konzeptionelle Richtungen untersucht:

Caged — Ein Exoskelett, gefüllt mit Myzel-Substrat
Bonded — Verflochtene Komponenten, die durch Myzelintegration zusammenwachsen
Grown — Ein ganzheitlicher Ansatz, bei dem Obermaterial und Sohle sich zu einem Organismus entwickeln

Das finale KonzeptMyco.Runfasst diese Ansätze zu einem, vom Nutzer gewachsenen System zusammen.

Caged Moodboard and Strukturschema

Caged Rendering

Caged Konzeptskizzen und CAD Design

Erster Prototyp von "Caged"

Erster Prototyp von "Caged"

Erster Prototyp von "Caged"

Erster Prototyp von "Caged"

Bonded: Moodboard and Strukturschema

Bonded Konzeptskizzen

Bonded erste Renderings

Bonded erste Renderings

Grown Moodboard and Strukturschema

Grown Konzeptskizzen und Konstruktionsschema

Das endgültige Konzept, Myco.Run, fasst diese Überlegungen zu einem vom Nutzer entwickelten System zusammen.

Mycorun: Erster Prozessprototyp vor der Beimpfung

Mycorun: Erster Prozessprototyp in der Wachstumsphase

Automatisierte Personalisierung

Der Produktionsprozess beginnt nicht in einer Fabrik, sondern beim Nutzer:

01
Laufanalyse
Druckmessung identifiziert individuelle Laufmuster, Pronation und Stützbedarf.
02
Parametrische Struktur
Daten liefern Informationen zur Gittergeometrie und sorgen für ein Gleichgewicht zwischen Dämpfung, Stabilität und Gewicht.
03
Additive Formfertigung
Eine 3D-gedruckte Wachstumsform wird an den Benutzer versandt.
04
Myzel-Impfung
Der Benutzer füllt die Form mit Substrat und initiiert das Wachstum.
05
Fertigstellung
Nach 10 Tagen sind gewachsene Sohle und Upper mit dem Bambus-Rocker verbunden und bereit für den nächsten Run.

Laufanalyse eines "Heel-Strikers"

Der Prozess als Schema

„Jeder Schuh entsteht aus den Daten des jeweiligen Trägers, kein Paar ist identisch mit einem anderen, sondern perfekt auf die Bedürfnisse der Läufer angepasst.“

Finales Design

User Journey

01
Laufanalyse
Der Benutzer besucht eine lokale Scan-Station oder nutzt eine mobile App, um seinen Laufstil analysieren zu lassen.
02
Lieferung des Grow-Kits
Ein personalisiertes Kit wird geliefert, das Folgendes enthält: additiv gefertigte Wachstumsform, mit Myzel-beimpftes, gestricktes Obermaterial mit Fersenverstärkung aus Hanf, Nährlösung zur Wachstumsaktivierung, Bambusrocker
03
Kultivierung
Der Benutzer füllt die Form, verschließt sie und lagert sie an einem dunklen, temperierten Ort. Innerhalb von 7 bis 10 Tagen besiedelt das Myzel die Gitterstruktur und verbindet sich mit dem textilen Obermaterial.
04
Aktivierung und Verwendung
Sobald das Wachstum abgeschlossen ist, wird die Form entfernt. Das Myzel wird einer Wärmebehandlung unterzogen, um das Wachstum zu stoppen, wodurch eine strapazierfähige, gepolsterte Sohle entsteht. Durch gezielte Nachimpfung können Nutzer stark beanspruchte Bereiche im Laufe der Zeit verdichten, verstärken oder ausbessern.
05
End of Life
Wenn die Leistungsfähigkeit nachlässt, wird der Schuh kompostiert oder als Substrat für die zukünftige Produktion zurückgeschickt.
−52%
Materialgewicht
0
Kleber
100%
Kompostierbar
„Vom Verbraucher zum Co-Produzenten. Myco.Run definiert neu, wie wir mit unseren Produkten umgehen.“

Myco.Run Grow-Kit

Myco.Run Grow-Kit

Homegrown Myco.Run Schuh

Homegrown Myco.Run Schuh

Reflexion und Erkenntnisse

Erkenntnisse zum Design

Myco.Run begann als Material-Studie, bei der EVA durch Myzel ersetzt werden sollte. Aus Materialforschung entwickelte sich eine systemische Neukonzeption der Schuhproduktion. Die wichtigsten Erkenntnisse ergaben sich nicht aus dem Material selbst, sondern aus dem Prozess, den es ermöglicht:

Regeneratives Design
Die wachstumsbasierte Fertigung vermeidet Abfälle, die sonst beim Schneiden und Zusammenbauen anfallen.
Lokalisierte Produktion
Der dezentrale Anbau reduziert den Logistikaufwand und ermöglicht regionale Anpassungen.
Beteiligung der Träger
Die Einbeziehung der Träger in den Entstehungsprozess fördert eine tiefere Bindung zum Produkt und eine sorgfältigere Pflege.
Integration des Lebenszyklus
Das von Anfang an auf Kompostierung ausgerichtete Design übernimmt Verantwortung über das Ende der Nutzungszeit.

Relevanz für Performance Footwear

Obwohl es sich um Spekulationen handelt, befasst sich Myco.Run mit realen Herausforderungen, denen Marken wie adidas gegenüberstehen: Materialinnovation, Lokalisierung der Lieferkette und Anforderungen der Kreislaufwirtschaft. Das Projekt zeigt, wie biologische Materialien und parametrische Fertigung mit Leistungsanforderungen vereint werden können. Ohne Kompromisse, sondern als Mehrwert und gegenseitiger Ergänzung.

Zukünftige Entwicklungen könnten folgende Bereiche untersuchen:

  • Myzel-Verbundmischungen für verbesserte Haltbarkeit
  • Digitale Plattformen, die Ganganalysen mit der automatisierten Formgenerierung verbinden
  • Partnerschaften mit urbanen Landwirtschaftsnetzwerken für die Substratproduktion
  • Integration mit bestehenden Stricktechnologien (Primeknit, Flyknit)
„Myco.Run verändert den Prozess von industrieller Produktion in einen lebendigen, interaktiven Zyklus, eine Philosophie, die Performance Footwear revolutioniert.“